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Der Fisch, die Finanzen und der letzte Akt im Brexit-Drama

Der (vorerst) letzte Vorhang im Brexit-Drama geht in diesen Tagen auf, und es sieht nicht nach einem guten Ende für die britische Finanz- und Fondsbranche aus. Die größte Chance hieß bis vor kurzem noch „Fish for Finance“. Doch daraus wird wohl nichts. Britische Finanzfirmen sitzen auf dem Trockenen, falls sie in der Europäischen Union (EU) keine eigene Niederlassung unterhalten (Artikel als PDF). Bis zur Absage von Großbritanniens Premierminister Boris Johnson Mitte Oktober sah „Fish for Finance“ – ein möglicher Handel zwischen Fangrechten für EU-Fischerboote in britischen Gewässern auf der einen und einem Zugang für britische Finanzprodukte in die Europäische Union auf der anderen Seite – recht erfolgversprechend aus. Flundern für Fonds oder Dorsch für Derivate sozusagen.

Dass die Fischerei im Meer um Großbritannien überhaupt wieder eine solche Bedeutung in den Gesprächen zwischen den Unterhändlern des das Vereinigten Königreichs (UK) und der EU erlangte, liegt weniger an ihrer ökonomischen Bedeutung: Zwar hat UK eine der ertragreichsten Fischereigründe Europas und seine Flotte brachte im vergangenen Jahr den zweitgrößten Fang in der EU nach Hause – immerhin 502.000 Tonnen Fisch in einem Wert von rund GBP 851 Millionen.[1] Allerdings macht der Anteil der Fischerei an der gesamten britischen Wirtschaftsleistung nur 0,1 Prozent aus.

Doch weil viele Fischer aus England, Schottland, Nordirland und Wales starke Befürworter des Brexits waren (und viele von ihnen noch sind) und das Thema auf der Insel große Bedeutung hat, nutzte die EU „Fish for Finance“ geschickt in den Verhandlungen.

So warnte der stellvertretende irische Premierminister Leo Varadkar (bis zur Bildung einer großen Koalition im Juni noch Regierungschef der irischen Republik) davor, dass britische Firmen ohne eine Einigung in dieser Frage in anderen Sektoren nicht die gewünschten Geschäfte abschließen könnten. Über den öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender BBC ließ Varadkar die britischen Nachbarn im Januar wissen: „Möglicherweise müssen Sie in Bereichen wie der Fischerei Zugeständnisse machen, um von uns Konzessionen in Bereichen wie Finanzdienstleistungen zu erhalten.“

Kaum jede achte Firma ist vorbereitet

Die Unternehmen aus dem Königreich könnten einen Deal dringend gebrauchen, wie die Entwicklungen der vergangenen Monate zeigen. Denn es deutet sich an, dass die britische Wirtschaft, die stark von Dienstleistungen und Binnenkonsum abhängt, durch Covid-19 und die Lockdowns von allen G20-Volkswirtschaften am heftigsten getroffen wird.

Obwohl der Brexit – ob mit oder ohne Deal – seit Jahren droht und spätestens seit Anfang dieses Jahres klar war, dass UK ab dem 1. Januar 2021 definitiv nicht mehr EU-Mitglied sein wird, trifft der Austritt viele Firmen auf beiden Seiten des Kanals trotzdem auf dem falschen Fuß. In einer aktuellen Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young sagten nur 13 Prozent der teilnehmenden Unternehmen, sie fühlten sich auf den britischen Austritt vorbereitet.

„Es ist erstaunlich zu beobachten, dass es immer noch viele Firmen aus UK gibt, die kaum auf die Zeit nach dem EU-Austritt vorbereitet sind“, sagt Robert Scheid, Director des Londoner Büros von Germany Trade & Invest (GTAI). „Deutsche Firmen haben in der Regel deutlich mehr Vorbereitungsmaßnahmen in Hinblick auf den Brexit durchgeführt.“[2] Die GTAI hat in den vergangenen Jahren viele britische Firmen dabei begleitet, Niederlassungen in Deutschland zu eröffnen. Im vergangenen Jahr stellte Großbritannien mit 185 Projekten die zweithöchste Zahl aller neuen ausländischen Niederlassungen und Firmenerweiterungen in Deutschland – nur übertroffen von den USA (302 Projekte), aber noch knapp vor der Schweiz (184) und China (154).

In Großbritannien hingegen stockt es im Außenhandel mit der Bunderepublik ganz gehörig. Die britischen Warenimporte aus Deutschland – vor allem in der Automobilindustrie sowie dem Maschinenbau – brachen unter dem Corona-Einfluss von Januar bis Juli 2020 nominal um 25,2 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode ein. „An Investitionen in Produktionsanlagen ist in vielen Branchen derzeit nicht zu denken“, bestätigt Scheids Kollege Marc Lehnfeld vom GTAI.

JPMorgan verlagert 230 Milliarden USD nach Frankfurt

Großbritannien scheint hingegen eher stehen zu bleiben oder sogar den Rückwärtsgang einzulegen. Das offenbarte sich in den vergangenen Monaten sehr deutlich bei der Entwicklung der Beschäftigten und Assets in der Finanzbranche.

So blieb die Zahl der Angestellten in der britischen Asset-Management-Industrie, anders als in anderen europäischen Ländern, in diesem Jahr eher statisch, berichtete der Brancheninformationsdienst Ignites Europe Anfang Oktober und bezog sich auf Angaben von The Investment Association. Die Zahl der Beschäftigten in der Fondsbranche sei seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 in UK nur um knapp sechs Prozent gestiegen, in Frankreich im selben Zeitraum hingegen um neun, in Irland (zwischen 2016 und 2018) um zwölf und in Luxemburg um satte 31 Prozent.[3]

Für Aufmerksamkeit sorgte auch die Nachricht, dass die US-Bank JPMorgan Chase Vermögenswerte von rund USD 230 Milliarden und 200 ihrer Mitarbeiter von London nach Frankfurt übertragen bzw. umsiedeln will. And that was just for starters …

(Nachtrag 03. Nov. 2020: Nach Angaben der Deutschen Bundesbank haben 64 Banken, Finanzdienstleister und Wertpapierfirmen aus Großbritannien Lizenzanträge in Deutschland gestellt – bei über 40 habe die Aufsicht bereits grünes Licht erteilt. Bis Jahresende erwartet die Bundesbank zudem, dass die größten fünf Banken, die von der Themse an den Main kommen, 397 Milliarden Euro an Bilanzpositionen übertragen werden.)

Seit dem Brexit-Referendum sind 7.500 Finanzjobs aus Großbritannien in die EU verlagert worden.

Seit dem Referendum sind, so Berechnungen von Ernst & Young, über 7.500 Jobs in der britischen Finanzindustrie in die EU verlagert worden und haben 24 Finanzunternehmen öffentlich erklärt, sie wollten Assets mit einem Wert von mehr als GBP 1,2 Billionen in die EU umschichten. Zum Vergleich: Anfang 2019 waren, laut einer wiederkehrenden Untersuchung der Nachrichtenagentur Reuters, durch den Brexit bedingt kaum 2.000 Stellen aus Großbritannien verlagert worden (s. auch früheren Artikel und Infografik: „Die Ruhe vor dem Brexit-Sturm„)

Strengere Transparenzauflagen für Manager aus Drittländern

Mit zum Exodus an Personal und Assets haben zuletzt sicher auch Warnungen der europäischen Regulierungsbehörde ESMA beigetragen: Sie will künftig Investmentmanagern aus Nicht-EU-Staaten strengere Transparenzauflagen verordnen. Die britische Finanzaufsicht FCA versucht nun, ihre Mitglieder bis Ende März 2022 EU-konform zu bekommen.[4]

Für britische Finanzunternehmen, die den Schritt aufs Festland immer noch nicht gewagt haben, wird es eng. Manch kleinere Gesellschaft mag hoffen, es sei damit getan, sich für europäische Kunden zu öffnen, indem man die Website auf Deutsch übersetzt … aber die Ungewissheit, ob und unter welchen Auflagen Asset Manager aus London, Edinburgh und Bristol nach dem Brexit für Kunden in der EU Investment-Dienstleistungen erbringen dürfen, bleibt. Und auch die Frage, ob es sich für Unternehmen mit Sitz in der EU überhaupt noch lohnt, unter den neuen Vorgaben der ESMA Fondsmanagement-Funktionen auf einen Nicht-EU-Fondsmanager zu übertragen.

Sebastiaan Hooghiemstra, Investment-Spezialist bei der Luxemburger Anwaltskanzlei NautaDutilh, sagt, die neuen Standards seien ein Schlag für alle Nicht-EU-Fondsmanager und erhöhten den Verwaltungsaufwand für Investmentunternehmen aus Drittländern. „Firmen aus Drittländern sollten stattdessen versuchen, ihre eigene Niederlassung mit einer Lizenz nach MiFID II in Kontinentaleuropa zu bekommen“, zitiert Ignites Europe den Anwalt.[5]

Gerade für kleinere Investmenthäuser von der Insel ist es bis zum Ablauf der Übergangsperiode Ende Dezember höchste Zeit, drei Schritte zu ergreifen: Erstens die Bedeutung europäischer Kunden für das bestehende und zukünftige Geschäft zu bemessen. Zweitens (für den Fall, dass einem Austausch mit der EU weiterhin Bedeutung beigemessen wird) das eigene Regelwerk gemäß den ESMA-Vorgaben anzupassen. Und drittens das Bekenntnis zum europäischen Markt gegenüber Kunden und Geschäftspartnern auch aktiv zu kommunizieren.

Und wer will, kann dazu ja seine besten Kontakte auf eine Portion Fish & Chips und ein Pint Bier auf die Insel einladen.

 

[1] Quelle: UK Sea Fisheries Statistics, Okt. 2020

[2] Quelle: LinkedIn-Nachricht von Rob Scheid, 07/10/2020

[3] Quelle: Ignites Europe “Lack of Brexit clarity causes UK industry staff numbers to flatline“, 05/10/2020

[4] Quelle: Ignites Europe “Brexit: regulatory ‚game of chicken‘ brings operational upheaval“, 02/10/2020

[5] Quelle: Ignites Europe “Non-EU funds hit with tougher supervisory standards“, 29/09/2020

Image sources

  • „Queing at the fish & chips shop in Lyme Regis“: Photo by Hagen Gerle