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Britische Finanzbranche post Brexit: Hoffen auf Äquivalenz – oder lieber gleich in die EU umziehen?

Großbritannien und die Europäische Union wollen bis Ende März ein „Memorandum of Understanding“ unterzeichnen, in dem festgelegt werden soll, wie es mit der Finanzdienstleistungsbranche nach dem Brexit weitergeht. Während das Vereinigte Königreich darauf hofft, dass seine Regularien auch auf dem Kontinent als gleichwertig anerkannt werden („equivalence“), scheinen für die EU gleiche Wettbewerbsbedingungen („level playing field“) wichtiger zu sein. Jeder Tag ohne ein Abkommen treibt mehr Geschäft, Firmen und Mitarbeiter nach Europa – und verunsichert britische Investmentmanager zunehmend.

Es sieht gerade nicht gut aus für den internationalen Finanzplatz Großbritannien. Auch wenn der Brexit-Deal für manchen Briten ein unerwartetes Weihnachtsgeschenk gewesen sein mag – für viele gerät er zur nationalen Tragödie. Zu entnervten Spediteuren, wütenden Fischern und abgezockten Online-Shoppern aus dem Vereinigten Königreich (United Kingdom, UK) könnten sich bald umzugswillige Mitarbeiter aus Finanzdienstleistungsfirmen gesellen. Der Sales-Manager einer Londoner Investmentboutique brachte es in einem Telefonat dieser Tage mit mir auf den Punkt: „Down the line, wenn du in der EU arbeiten willst, brauchst du die Lizenz vor Ort.“ Ergo schaue sich sein Arbeitgeber intensiv nach einem Standort auf dem europäischen Festland um.

Überlegungen, wie sie dieser Asset Manager mit seinem zweistelligen Milliarden-Betrag an verwaltetem Vermögen anstellt, machen sich immer mehr Investmenthäuser an der Themse, die (noch) keine Niederlassung in der Europäischen Union (EU) haben. Die post-Brexit-Phase ist für viele von ihnen eine Grauzone, solange es noch kein separates Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU gibt. Doch das kann auf sich warten lassen.

Soll London als Drehscheibe erhalten bleiben?

Der Brexit-Deal, den die britische Regierung und die EU-Kommission an Heilig Abend verkündeten, klammert Dienstleistungen weitgehend aus – und damit auch die mächtige britische Finanzdienstleistungsbranche, die im letzten abgeschlossenen Steuerjahr (2018/2019) immerhin 10,5 Prozent des Steueraufkommens leistete und 2018 fast 7 Prozent zur gesamten Wirtschaftsleistung der Nation beitrug. Sie wartet deshalb gespannt auf den Beginn der offiziellen Gespräche über die neue regulatorische Zusammenarbeit zwischen der EU und Großbritannien. „Ein umfassendes Abkommen würde dazu beitragen, London als Drehscheibe für das EU-Finanzwesen zu erhalten – aber das könnte nicht unbedingt eine Priorität der Union sein“, schrieb der Nachrichtendienst Bloomberg in einer Analyse.

Dass der Brexit beispiellose Auswirkungen auf Finanzdienstleistungsunternehmen auf der Insel haben wird – darüber bestehen wenig Zweifel. Bislang hatten britische Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften aufgrund der Passporting-Rechte freien Zugang, um ihre Produkte in der EU zu vertreiben. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Britische Fondsmanager brauchen für den Vertrieb in der EU eine entsprechende Zulassung – statt mit „GB“ sollte die Wertpapierkennzeichnung (ISIN) ihrer Fonds künftig am besten mit „LU“ für Luxemburg, „DE“ für Deutschland oder „IE“ für die Republik Irland beginnen. Viele Anbieter haben vorgesorgt und Alternativen zu Fonds mit einer GB-ISIN aufgelegt.

Europäische Aufsicht droht britischen Asset Managern

Doch wer als Fondsmanager bislang keine eigene Niederlassung in der EU betreibt, für den könnte es eng werden. Die europäische Regulierungsbehörde ESMA hat schon im vergangenen Herbst gewarnt, sie wolle Investmentmanagern aus Nicht-EU-Staaten strengere Transparenzauflagen verordnen.[1] In einer Bekanntmachung Mitte Januar warnte die Aufsicht Asset Manager aus Drittstaaten (wie es UK nun gegenüber der EU ist) vor Tricksereien – etwa, in dem der europäische Kunde eine Einwilligung anklicken soll, dass er „dringend darum gebeten habe“, von dem Manager aus London betreut zu werden.

Der Konflikt um Portfoliomanagement und Vertrieb in die EU erinnert an den aktuellen Streit um Fang und Export von Muscheln.

Die neue Konfliktlinie zwischen Portfoliomanagement in einem Drittstaat und dem eingeschränkten Vertrieb aus diesem Staat heraus findet dieser Tage ihre sinnbildliche Äquivalenz in dem Streit um den Export von britischen Muscheln und Krustentieren in die EU. Nach den Regeln der EU dürfen Austern, Jakobsmuscheln und anderes lebendes Schalengetier aus Nicht-EU-Staaten nicht importiert werden … es sei denn, sie stammen aus Gewässern der höchsten Qualitätsstufe. Was für Großbritannien leider nicht der Fall ist damit und einige hochspezialisierte Fischer um ihre Haupteinnahmequelle bringt. Hätte sich die britische Regierung mal besser auf den Deal „Fish for Finance“ eingelassen (s. unser Oktober-Beitrag)!

EU hat keine Eile mit Abkommen für Finanzdienstleistungen

Der Weg zu einem Abkommen für die Finanzbranche kann lang werden. Wenn es nach dem britischen Investmentverband The Investment Association geht, ist die Sache zwar klar. Pünktlich zum Abschluss des Handelsabkommens am 24. Dezember kommentierte IA-Vorstandsvorsitzender Chris Cummings auf der Website des Verbandes: „Der beste Weg, dieses Potenzial freizusetzen, besteht darin, dass die EU das Regulierungssystem des Vereinigten Königreichs als gleichwertig zu ihrem eigenen anerkennt und jede weitere Störung des Marktes minimiert.” EU-Finanzkommissarin Maired McGuinness trat in einem Interview mit Bloomberg jedoch auf die Bremse, als sie erklärte: „Die EU hat keinen festen Zeitplan, um eine Entscheidung über Finanzdienstleistungen zu treffen. Der Brexit wird den Zugang zum Block unweigerlich erschweren.”

Es gibt klare Gegensätze in den Positionen. Die EU legt Wert auf faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen („level playing field“) und will lieber eine effektive als eine einfache, schnelle Beaufsichtigung, sagt McGuinness: „Wir haben uns von einer ‚light-touch‘-Regulierung entfernt, die niemandem einen Gefallen tut. Wir wollen vielmehr eine effektive Regulierung.“ Großbritannien strebt dagegen „equivalence“ an, um britischen Banken und Investmenthäusern einen störungsfreien Vertrieb ihrer Produkte in der EU zu ermöglichen.

Das Land möchte sich aber zugleich nicht zu sehr von der Regulierung der EU abhängig machen, um mehr Gestaltungsspielraum zu haben. Das zeigt sich im wieder aufgenommenen Handel mit Schweizer Franken aus London heraus (der seit 2019 von der EU untersagt war) und der gegenseitigen Anerkennung der Schweizer und Londoner Handelsplätze. Der Chef der britischen, international tätigen Barclays Bank, Jes Staley, sagte in einem Interview mit der BBC, die britische Finanzindustrie solle sich post-Brexit eher auf die USA und Asien konzentrieren als auf die EU.

Mit jedem Tag verliert Finanzplatz London Geschäft

Jeder Tag ohne ein Abkommen mit der EU ist ein verlorener Tag für die britische Finanzwirtschaft – und tut ihr richtig weh, wie ein paar Zahlen belegen:

Schon am ersten Handelstag nach dem Brexit, am 4. Januar 2021, verlor der London Stock Exchange EUR 6,3 Milliarden an Umsätzen beim Aktienhandel an europäische Börsen. 55 britischen Banken und Finanzdienstleistern hat die deutsche Finanzaufsicht BaFin zwei Wochen nach dem Brexit die Zulassung für einen Betrieb in Deutschland erteilt. Die Lobbyorganisation Luxembourg für Finance freut sich darüber, im vergangenen Jahr fast 50 Fonds aus UK, vor allem aus dem Bereich Alternative Investments, angelockt zu haben.[2]

Und laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov und der Personalvermittlung Adecco sind angeblich 40 Prozent der Londoner bereit, Großbritannien zu verlassen, um in der EU zu arbeiten. 7.500 Jobs in der britischen Finanzbranche sind nach Angaben der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young seit dem EU-Referendum im Juni 2016 bereits von UK in die EU verlagert worden.

Mancher britische Asset Manager hat den Vertrieb seiner Fonds auf den Kontinent aus Furcht vor rechtlichen Konsequenzen ganz eingestellt.

Mancher britische Asset Manager sowie Niederlassungen von US-Investmenthäusern in London sind schon derart verunsichert, dass sie den Verkauf ihrer Fonds auf dem Kontinent aus Furcht vor rechtlichen Konsequenzen ganz eingestellt haben. Das gilt nicht nur für kleine spezialisierte Investmentboutiquen: Auch die führende britische Retail-Plattform Hargreaves Lansdown hat ihren Vertrieb an europäische Kunden aufgegeben.

The Investment Association pocht weiterhin darauf, dass ihre 250 Mitgliedsunternehmen GBP 8,5 Billionen an Assets verwalten, 113.000 Jobs in UK stellen und die Branche insgesamt GBP 3,6 Billionen für ausländische Kunden aus Großbritannien heraus managt. Die Fragen seien jedoch gestattet: Wie lange noch? Und wieviel davon wird ein Deal mit der EU im Land halten können?

[1] Quelle: Ignites Europe “Brexit: regulatory ‚game of chicken‘ brings operational upheaval“, 02/10/2020

[2] Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung: Luxemburg zieht an, 02/02/2021