You are currently viewing Big Brexit und small businesses: Wie bereitet man sich auf das Unvorhersehbare vor?
Monkey sitting on a wooden sign with a warning that it is dangerous to feed animals

Big Brexit und small businesses: Wie bereitet man sich auf das Unvorhersehbare vor?

Vor ein paar Tagen habe ich mich mit meiner Frau in der Küche gestritten. Es ging mal wieder um den Brexit. Am Tag zuvor hatte Theresa May in Salzburg die Klatsche der versammelten EU-Staatschefs bekommen. Ich hatte mir schon seit einiger Zeit den Kopf darüber zerbrochen, was der Brexit sowohl für uns persönlich als auch für unser Geschäft als spezialisierte PR-Beratung bedeutet (und natürlich ein mehrseitiges Konzept dazu geschrieben). „Wir wissen doch gar nicht, was da am Ende dabei herauskommt“, sagte meine Frau, als ich sie bat, das Konzept gegenzulesen, während sie Zucker in ihren Tee löffelte.

„Deswegen müssen wir uns ja Gedanken über mögliche Szenarien machen“, erwiderte ich.

„Aber das ändert sich doch gerade jeden Tag! Du verschwendest deine Zeit und Energie!“

„Und genau deshalb!“

„Aber worauf willst du dich denn da alles vorbereiten!?“

Und so weiter und so fort … nur gut, dass wir die Steakmesser vorher in die Spülmaschine getan hatten.

Irgendwann haben wir uns darauf geeinigt, dass auch wir nicht mehr wissen als all die anderen Besitzer kleiner (und großer) Unternehmen, die ebenso wenig am Verhandlungstisch in Salzburg, Brüssel oder London sitzen. Und dass es sehr schwer ist, angesichts der vielen, vorwiegend erschreckenden Szenarien und Fragen konkret für einen ‚No deal‘-Ausstieg aus der EU zu planen: (Wie) Werden künftig Dienstleistungen für Kunden in der EU besteuert? Müssen zusätzliche Nachweise oder Zulassungen erbracht werden, um mit Kunden in der EU noch Handel zu betreiben? Welchen Status werden EU-Ausländer in Großbritannien mit einem in England und Wales eingetragenen Unternehmen haben?

Angesichts solcher und vieler weiterer unbeantworteter Fragen fühle ich mich als, seit nunmehr sieben Jahren in UK (pre Brexit) lebender Deutscher mit deutscher Familie und britischem Geschäft, gelinde gesagt, verarscht.

Kaum jedes siebte small business bereitet sich auf den Brexit vor

Wir sind (ob EU-Ausländer oder nicht) mit unseren Überlegungen bei weitem nicht allein. Nicht einmal jedes siebte (14%) kleine Unternehmen in Großbritannien hat, laut einer Befragung des Lobbyverbandes National Federation of Self Employed & Small Businesses (FSB), damit begonnen, für einen No-deal-Brexit zu planen. Mehr als ein Viertel (27%) kleiner britischer Exportfirmen verbuchte im dritten Quartal 2018 sinkende internationale Umsätze, nach 19% zwischen Juli und September 2017. Kein Wunder, dass die Stimmung unter den small businesses im Keller ist – weniger als ein Drittel von ihnen (29%) glaubt daran, dass sich ihre Aussichten im nächsten Quartal verbessern werden.

Die Anzeichen sind in der Tat nicht rosig: Seit dem EU-Referendum am 23. Juni 2016 ist das Wirtschaftswachstum im Vereinigten Königreich geringer ausgefallen als in den anderen G7-Staaten, weigern sich die Unternehmen zu investieren,[1] und hat das britische Pfund rund 9% an Wert verloren.[2] Das mag für Exporteure zwar gut sein, doch zugleich sind viele Waren, speziell solche, die von außerhalb des Königreichs eingeführt werden, teurer geworden. Im August stiegen die Preise in britischen Geschäften zum ersten Mal seit fünf Jahren, begleitet von einer Warnung des British Retail Consortiums, dass Kunden wesentlich höhere Steigerungen zu erwarten hätten, sollte es zu keiner Brexit-Vereinbarung kommen. Die Inflationsrate kletterte im selben Monat unerwartet stark auf ein Sechs-Monats-Hoch von 2,7%.

Einige Konzerne in Großbritannien haben damit begonnen, ihr europäisches Geschäft in die EU zu verlegen: Besonders die Finanzbranche macht vor, wie das geht, wie die angekündigten Umzüge von Standard Life Aberdeen nach Dublin, Lloyds of London nach Brüssel oder M&G nach Luxembourg zeigen. Andere, wie Airbus und BMW, halten sich die Option eines Umzugs offen. Währenddessen zieht es immer weniger qualifizierte Arbeitnehmer aus der EU auf die britischen Inseln – im staatlichen Gesundheitssystem NHS ist die Zahl der Krankenpfleger und -pflegerinnen aus der EU zwischen dem Referendum und April 2018 um mehr als 7.000 eingebrochen.

Zu Preissteigerungen und Arbeitskräftemangel kommen Steuererhöhungen hinzu: Viele Kommunen haben in den vergangenen Jahren ihre lokalen Steuern (council tax) und Gewerbesteuersätze (business rates) drastisch erhöht, was zu einer eigenen Bedrohung für lokale Geschäfte geworden ist, wie die City Universität von London jüngst in einer Studie belegte. Zugleich setzte das britische Finanzamt HMRC das Limit für unbesteuerte Dividenden innerhalb von vier Jahren von GBP 31.800 auf GBP 2.000 herunter. Dazu muss man wissen: Dividenden machen für viele Inhaber eines Unternehmens mit beschränkter Haftung (Limited), die zuvor Einzelunternehmer mit höherem Steuersatz waren, oft den Hauptteil ihrer Einkommen aus.

Und jetzt kommen für uns alle noch die unabsehbaren Folgen des Brexits hinzu …

Aktive Aufmerksamkeit und Ausdauer

Was können kleine Unternehmen wie wir angesichts dieser ungewissen Lage, die für manche existenzielle Folgen annehmen kann, überhaupt tun?

Szenario-Planung ist sicher eine Möglichkeit – also die bewusste Auseinandersetzung mit allen denkbaren Folgen eines Brexits für das eigene Unternehmen und seine Kunden. Der Berufsverband der Public-Relations-Professionals in Großbritannien (Chartered Institute of Public Relations, CIPR) hat in diesem Jahr zwei Szenario-Workshops für Kommunikationsverantwortliche aus Firmen, Verbänden, Institutionen und PR-Agenturen veranstaltet, um die Folgen eines Brexits durchzuspielen. Angesichts sich überschlagender Ereignisse (Stichworte „Boris Johnson“, „Salzburg“, „Grenze zu Nord-Irland“) bleiben viele Szenarien jedoch hinter der Realität zurück oder werden links (in Europa: rechts) überholt.

Lobbying ist eine andere Chance. Verbände und professionelle Gruppierungen, die viele gleichgesonnene Unternehmen repräsentieren wie der FSB oder das Institute of Directors (IoD), haben bei Gesprächen mit Regierungsvertretern ein größeres Gewicht als eine einzelne Firma. So zumindest die Absicht vieler kleiner Betriebe, die deshalb Mitglied werden und hoffen, ihrem Unmut damit eine lautere Stimme zu verleihen.

Eine Option, die jedes small business selbst ausüben kann, ist aktive Wachsamkeit (active surveillance). Das bedeutet, Entwicklungen von möglicherweise großer Tragweite eine Zeit lang aufmerksam zu verfolgen, ohne gleich handeln zu müssen. Dazu gehört nicht nur, Brexit-Nachrichten kritisch-distanziert zur Kenntnis zu nehmen – das Grummeln von ein paar Hinterbänklern und die Schlagzeile im Daily Telegraph am Tag darauf führen nicht gleich zum Sturz der Premierministerin. Auch Entwicklungen in der eigenen Branche und beim Wettbewerb zu beobachten, kann aktive Wachsamkeit sein.

Mit Blick auf die künftige Behandlung von Unternehmen aus einem Drittland in ihrem Verhältnis zur EU (Großbritannien nach einem ‘no deal‘) haben sowohl die Europäische Kommission als auch die britische Regierung einige, zum Teil durchaus brauchbare Papiere veröffentlicht. Die EU unterscheidet darin sehr klug, wie ich finde, zwischen „preparedness“ und „contingency“. Wenn man die Disziplin und die Ausdauer aufbringt, diesen Ansatz zu verfolgen, ohne dabei weder in Hektik noch in Depression zu verfallen, kann man damit sogar ziemlich gut klarkommen.

Eine persönliche Bemerkung

Wir haben für unser Geschäft entschieden, dass wir weiterhin versuchen wollen, dem Ansatz der aktiven Wachsamkeit zu folgen, den Überblick über die wirklich wichtigen Entwicklungen zu behalten und uns so flexibel wie möglich für alle Szenarien zu halten wollen, um im Brexit-Strudel hoffentlich nicht unterzugehen. Gerade für uns small businesses, deren finanzielle und personelle Ressourcen im Vergleich zu größeren Unternehmen natürlich viel schmaler ausfallen, heißt es: Augen aufhalten, sich aber nicht von jeder neuen Schauernachricht über die möglichen Folgen des Brexits ins Bockshorn jagen lassen.

Detaillierte Pläne, ob es sich lohnt, Partner im (europäischen) Ausland zu suchen, Zulassungen zu beantragen, Mitarbeiter zu schulen oder das eigene Geschäftsmodell zu erweitern, können erst dann beginnen, wenn feststeht, wie Großbritanniens künftige Beziehung zu Europa (und zum Rest der Welt) konkret aussehen wird.

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

„Habe ich doch gleich gesagt!“, meinte meine Frau und kochte sich noch eine Tasse Tee.

P.S.: Im bevorstehenden Wettlauf um den Posten des nächsten britischen Premierministers, der Theresa May folgen soll, hat Carolyn Fairbairn, Director general der Confederation of British Industry alle Kandidaten davor gewarnt, eine ‚No-deal‘-Option überhaupt in Betracht zu ziehen, da sie schweren Schaden für Unternehmen mit sich brächte. Fairbairn: „Kurzfristige Unterbrechungen und langfristiger Schaden für die britische Wettbewerbsfähigkeit werden empfindlich ausfallen, wenn wir die EU ohne eine Vereinbarung verlassen. Die überwiegende Mehrheit der Firmen kann niemals auf einen ‚No-deal‘ vorbereitet sein, vor allem unsere (kleineren und mittelgroßen) Mitglieder nicht, die sich keine umfassenden und teuren Notfallpläne leisten können.“

[1] Quelle: Financial Times, 31/07/2018: „The UK economy since the Brexit vote – in 5 charts”

[2] Quelle: Wechselkurs GB/EUR am 23.06.2016 und 24.09.2018 Reuters